Neulich auf dem Mond

Neulich auf dem Mond - Neulich 03 - somabeatWo war ich? Uaaah… Mann, hatte ich schlecht geschlafen. Vom Mond geträumt, logisch, und das volle Horrorprogramm mit irgendeinem sinnlosen Krieg, planetare Apokalypse und so was. Total unlogisch, was für ein Trip! Jetzt war es dunkel. Offenbar saß ich an einem Tisch, nur . . .? Wieso konnte ich meine Beine nicht bewegen? Und was war das für ein rotes Flackern dort hinten, das in die Ränder der Dunkelheit hinein lugte?
Dann ging ein Licht auf dem Tisch an, weißlegiertes Gleißen schlug mir mitten ins Gesicht, meine Pupillen implodierten fast… „Shit! He..! Ist da wer? Hallo!“
„Guten Tag,“ wünschte eine dünne Stimme aus dem Off. „Nur fürs Protokoll: Ihr Name ist ***, Ihre Bezeichnung lautet 083-Z1-My;Semikolon. Stimmt das?“
„Was? Ja… – Wer spricht da? Verdammt, wo bin ich, ich kann nichts sehen. Das Licht blendet mich.“
„Das Licht stört Sie? Oh, das tut mir leid, das muß leider so sein. Auf der letzten Mitarbeiterversammlung wollte ich zwar anregen,…“
Schrott. Irgendwas war faul – „Ah, ich weiß. Halluzinationen. Klar. Das ist garantiert wieder dieser dreckige, kleine Virus, den sich Schopper damals an der Tankstelle vor Aldebaran eingefangen hat. Das Biest überschreibt einfach die Programmierung der Vakuum-Schlafkabinen! Und dann, dann dämmert man mit irgendwelchen Wahnvorstellungen vor sich hin und wacht ‘ne Ewigkeit nicht auf.“
„Ja, von so einem Virus habe ich gehört. Neulich, auf Zentauri Magna soll ein Kreuzfahrtschiff mit sage und schreibe 52 Jahren Verspätung angekommen sein. Sämtliche Passagiere hatten geträumt, sie seien in rosa Luftballons über die Moheno-Fälle gestürzt. – Aber das ist es nicht. Sie hatten keinen Virus an Bord.“
„Wie lange? Wieviel Jahre schlafe ich schon?“
„Eigentlich nicht mal eine Woche.“
„Wieso das?“
„Nun… wir hätten Sie gleich geweckt, aber Sie wurden abgetrieben nach der Explosion…“
Explo…? Ich mußte immer noch schlafen, das konnte nicht stimmen… „Weckmodus aktivieren. Reanimation einleiten.“
„Nun machen Sie mal halblang, Herr ***! Sie sind nicht mehr im Vakuumschlaf.“
„Weckmodus aktivieren und Reanimation einleiten!“ Ich rüttelte am Tisch, boxte in die Leere. . .
„Benehmen Sie sich, oder ich lasse Sie fixieren!“
Hffff! – das wollte keiner gerne. . .
„Also… Fein. Jetzt hören Sie mal zu: Meine Bezeichnung lautet 111-P2-Iota.Punkt. Der Name tut nichts zur Sache. Ich bin Ihr zuständiger Bearbeiter vom Ministerium für Recht und Ordnung. Ihnen wird Schlimmes zur Last gelegt… Dies ist ein Verhör. – Hören Sie? Sie befinden sich im Hochsicherheitstrakt auf Fuerteventura, Erde.“
„Auf der Erde? Ich glaub, mich trifft ‘n intelligenter Kugelblitz! Das Team sollte doch nach Finisvacui 3 zurückfliegen.“
„Na ja… es gab da… Komplikationen.“
Das ging doch alles nicht mit rechten Dingen zu. Also schön… „Ich möchte ins Interkomm.“
„Ah, natürlich. Hier, bitte sehr. …Wen möchten sie denn anrufen?“
„Meine Mutter.“ Die wußte immer Rat.
„Sie brauchen nur den Knopf an der Tischkante zu drücken.“
„Gibt’s… gibt’s keine andren Bedienungselemente?“
„Nein, die Verbindung wird bereits aufgebaut.“
„Kennt denn der Holomitter die IP meiner Mutter?“
„Er lädt Ihr persönliches Interkomm-Buch per Fingerabdruck.“
„Aha. Die neueste Technik was.“
„Tja, Herr ***. Sie haben es auf ihren Missionen eher mit den Basics zu tun, nicht… – Oh, wie hübsch! Ist das Ihre Mutter?“
„Schätze schon. Seit einigen Jahren fährt sie auf diese Morphing-Kosmetik ab, wissen Sie. Manchmal erkenn ich sie nur an der Stimme…“
<< Huhu, Ihr Lieben!… >>
„Schrott! Der Anrufbeantworter…“
<< Kinder, Kinder! Ihr werdet es nicht glauben! Haltet Euch fest! Ich habe beim Preisausschreiben von Fitmaxx TM GoH gewonnen. Ihr wißt schon – diese Firma mit den unglaublich leckeren Frühstücks-Tabletten. Und das beste ist… >>
Fitmaxx TM ! So starten Sie richtig in den Tag! Zum Beispiel mit Fitmaxx TM – Premium. Es enthält alle nötigen Kohlehydrate, Amphetamine, Biosqeezer, Nanotecs und Vitamine in der empfohlenen Tagesmenge. Und dabei schmeckt Fitmaxx TM – Premium sooo lecker! Bestellen Sie gleich, und als Dankeschön erhalten Sie dazu den neuen, kinderleicht bedienbaren Holomitter Pik24. Fitmaxx TM wünscht noch ein angenehmes Interkomm-Gespräch.
<< …Und das beste ist: Ich darf zur Schönheitskur nach New Eden! Ist das nicht fantastisch? Ich bin ja so aufgeregt! Und so gespannt auf den Doktor. Er soll wirklich der Beste sein. Der Beste, sage ich. – Also, wir sehen uns dann in drei Jahren. Und wenn ich zurückkomme; wer mich dann wiedererkennt, dem bin ich ernsthaft böse, hihi. Macht’s gut, Ihr Hübschen! >>
„Mann oh Mann…“
„Ihre Mutter scheint ja ein echter Glückspilz zu sein, Herr ***. Ein Preisausschreiben – und gerade jetzt… So ein Zufall aber auch, nicht wahr?“
„Wie meinen Sie das?“
„Och, nur so… – Tja. Leider steht Ihnen nur ein Anruf zu.“
„Ich möchte an den Siderischen Rat appellieren. Das ist mein Recht, als Bürger der Galaktischen Union. Ich kenne meine Rechte!“
„Glauben Sie mir, beim Siderischen Rat weiß man nicht einmal, daß sie existieren. Die Herren und Damen und sonstigen Geschlechter dort beschäftigen sich mit ganz anderen Sachen. Wo kommen wir denn hin, wenn jeder dahergelaufene Spacetramp auf sein Appellationsrecht pocht?“
„Aber die Verfassung…!“
„Jaja. Die Verfassung. Wußten Sie etwa nicht, daß es seit dem peinlichen Zusammenbruch der 3. Republik die Zusatzklausel 87.433 gibt? Ich zitiere: ‚Kraft verfassungsrechtlicher Verfügung wird dem Ministerium für Recht und Ordnung, seinem Präsidenten und dessen gesetzlichen Vertretern…‘ – dazu gehöre ich – ‚…das uneingeschränkte Recht eingeräumt, in Fällen, in denen es die Sicherheitslage gebietet, wenn es der Aufklärung dient und/oder im Namen der allgemeinen Ordnung unerläßlich ist, nach eigenem Dafürhalten und unter Anwendung von Mittel und Wegen, die angemessen erscheinen, die Verfassung oder Teile davon außer Kraft zu setzen.‘ “
„Ob…? – Nein. Das wußte ich nicht!“
„Ich sag’s ja immer wieder. Die Bürger informieren sich nicht genügend.“
„Moment mal. Wie war das? Ich kann also gar nichts…?“
„Nein. Das versuche ich Ihnen ja gerade klar zu machen. Ihre Lage ist kritisch, Herr ***. Sie kommen hier nicht raus, ehe Sie mir nicht alles über den Mondeinsatz erzählt haben. Sie brauchen einfach nur zu kooperieren, dann bin ich überzeugt, daß wir diese Sache hier glimpflich überstehen werden.“
„Diese Sache?! Ich kapier nicht richtig.“
„Oh, ich glaube, Sie wissen sehr gut, was ich meine.“
„Nein! Zum Schrott noch mal!“
„Nicht? Also gut… Fangen wir mal ganz harmlos an: Sie waren also auf dem Mond?“
„Ja, seit einer halben Ewigkeit die erste Expedition wieder. Der Mond war einfach vergessen worden seit der Kolonisation vor 230 Jahren. Obwohl er vor der Haustür lag. Scheinbar hat Triple-E dann ein Auge auf den Mond geworfen und vom Entwicklungsausschuß des Siderischen Rates grünes Licht bekommen. . . War wie ‘n ganz normaler Erstkontakt, reine Routine.“
„Ihr Team?“
„Ich als Einsatzleiter und Spezialist für interstellare Entwicklungsprogramme, die Ethnopsychologin und unser Planetograph.“
„Das war nicht ihr erster Einsatz in Leitungsfunktion bei Entdecken & Entwickeln – Enterprises, oder?“
„Neinein, ich war schon ‘n paar Mal dabei. Auf Tristea zum Beispiel, da haben wir das Humid-Klima installiert. Und in Walden Three, wo die Bevölkerung auf die Produktion von Edelhölzern umgestellt wurde.“
„Welche Informationen besaßen Sie über den Mond und die… die Eingeborenen?“
„Über die Alpharomeonen und die Betajuliaden? Nicht viel. Die künstliche Atmosphäre bietet Ihnen alles, was sie brauchen. Dabei stammt der Sphären-Emitter noch von der ersten Generation ab… Na ja. Nachdem der Kontakt abgebrochen war, hatten die Kolonisten in den letzten Jahrhunderten auf der erdabgewandten Seite eine richtige Zivilisation gebildet, laut Index irgendwo zwischen Agrar- und Industriegesellschaft. Das sind die Alpharomeonen. Ein ziemlich männliches, militärisches Volk, wenn Sie mich fragen. Eine außerordentlich rationale… wie soll ich sagen? …glatte Zivilisation. Ihre Städte müssen Sie sehen, Felsnadelnester aus Kunstharz. Die Alpharomeonen sind echte Fortschrittsfanatiker! Aus eigenem Antrieb hatten sie bereits primitive Satelliten entwickelt, und auf unser Entwicklungsprogramm stürzten sie sich dann wie eine Rotte gryphokreonischer Bartgeiger. Von den Betajuliaden wußten wir zu dem Zeitpunkt noch nichts.“
„Jaja, immer schön der Reihe nach. Wie lautete überhaupt ihr Auftrag?“
„Das Übliche: Herstellung einer dem intergalaktischen Mindeststandard angepaßten Bevölkerung, erste Sondierung möglicher Produktionsschwerpunkte, touristische Erschließung und Vorbereitungen zu Beitrittsverhandlungen mit der Galaktischen Union…“
„Das Salomon-Gates-Programm, richtig?“
„Genau, wie’s im Handbuch steht.“
Hinter dem Licht zelebrierte mein Gegenüber eine unheilvollen Pause. „Und Sie, Herr ***, handelten stets, wie es das Handbuch verlangt? Immer nach Vorschrift, hm?“
„Was meinen Sie? Was ist denn überhaupt los? Ich versteh das alles nicht, was wollen Sie? Ich bin doch nur ein kleiner Ingenieur.“
„Schön… dann also anders. Wie lange arbeiten Sie schon für Triple-E?“
„Es werden wohl an die dreißig Jahre sein, schätz ich.“
„27, um genau zu sein. Man hielt Sie dort lange Zeit für einen der loyalsten Mitarbeiter.“ Zungenschnalzen.
„Sehen Sie…“
„Eiha… aber genau darum geht es, Herr ***: Um die Prüfung ihrer Zuverlässigkeit, ob Verfahrensfehler gemacht wurden, derartige Angelegenheiten.“
„Ich bin doch zuverlässig, und loyal. Ich bin noch nie aufgefall…“ ups!
„Ach ja? Das mögen Sie so sehen… Übrigens – mir wurde berichtet, daß Sie vor einiger Zeit ein Haustier hatten, ein Chillum, ja?“
„Ja, sein Name war Gorki. Ein putziger, kleiner Kerl. Wußten Sie, wie schön Chillums singen können, wenn man ihnen das Infrarot-Licht…“
„Das ist mir so egal wie eine Neutrino-Verpuffung!“ Die dünne Stimme konnte richtig aufbrausend sein. „Viel interessanter finde ich allerdings, daß Sie bei der allgemeinen Säuberung während der großen Ganglion-Epidemie anno 2351 dieses Vieh nicht hergeben wollten…“
„Gorki! Das war sein Name.“
„Sie haben damals den Fachkräften erhebliche Schwierigkeiten bereitet, Herr ***!“
„Und? Ist das nicht verständlich? Haben Sie denn nie ein Haustier gehabt? Ich hatte Gorki mit selbst gebauten Solarzellen großgezogen…“
„Das ist noch nicht alles! Aus Ihrer Akte geht auch hervor, daß sie zu jener Zeit mehrfach auf den Sitzungen des subversiven ‚Vereins zur kritischen Auseinandersetzung mit der letzten Reform der Weltraum-Verkehrsordnung’ gesehen worden sind. Finden Sie das etwa auch verständlich?! Sollte so ein vernünftiger Bürger handeln?“
„Äh… nein… vielleicht nicht. Aber ich war jung. Und…“
„Also wenn ich mir Ihre Vorgeschichte so ansehe, Herr ***, dann läßt sich der Eindruck einer gewissen Umtriebigkeit nicht vermeiden. Ich möchte beinahe Aufsässigkeit dazu sagen. Und es gibt da Psychogramme von Massenmördern, die sind dem Ihren sehr ähnlich, verstehen Sie…?“
„Da hol mich doch ‘n Schwarzes Loch! Das ist doch alles Schrott von gestern! Ich bin sauber, Mann! Ich war in Behandlung! Und mit der Mond-Expedition hat das auch nix zu tun… – Worauf wollen Sie hinaus?“
„Nun, möglicherweise möchte ich andeuten, daß es nicht ganz unberechtigte Zweifel an Ihrem Charakter, Ihrer fachlichen Seriosität gibt. Zweifel an Ihrer Loyalität. Sie müssen schon einsehen, daß wir dem auf den Grund gehen wollen. Wie sagt das Sprichwort? Wer einmal die Regeln bricht, scheut auch das Weitere nicht. So heißt es doch, oder?“
Weltraumschrott und Partikeltierchen! Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, daß mir hier was ganz Mieses angehängt werden sollte. „Der Mondeinsatz lief vollkommen standardmäßig, ohne besondere Vorkommnisse…“ Nichts, wofür sich je ein Spezi vom Ministerium für Recht und Ordnung interessiert hätte… „Nach ersten Sondierungsmaßnahmen stellten wir Kontakt zur Bevölkerung her, mit extrem positiver Resonanz. Da die Alpharomeonen aufnahmefähig und wißbegierig sind, hielt ich eine zügige Vorgehensweise für angemessen. Wir konnten sofort mit dem Technologietransfer beginnen und widmeten uns zunächst der Infrastruktur. Als erste Maßnahme führten wir den Impulsantrieb im Personenverkehr ein, die Dissonanzeffekte blieben gering. Danach ging’s an die levelweise Modernisierung der Energiewirtschaft…“
„Der Impulsantrieb also, auf Basis von Phasenumwandlung, nehme ich an. So weit ich informiert bin, ist das gerade kein standardmäßiges Vorgehen, unterentwickelten Zivilisationen gleich zu Beginn der Aufbauarbeit sogenannte Risikotechnologien zu vermachen. Impulsantrieb! Was um alles im Universum…!“
„Ja, also… Ich hielt’s für ‘nen guten Anfang. Und warum auch nicht? Es hieß doch immer, man soll den Eingeborenen erstmal ordentlich was bieten. Und bei Triple-E war’s immer besonders wichtig, daß unsere Projekte möglichst schnell die Auflagen zum Unions-Beitritt erfüllten. . . Und außerdem, Impulsantrieb – das ist nichts im Vergleich mit… mit…“
„Mit dem was noch folgen sollte?“
„…Und Risikotechnologie würd’ ich auch nicht dazu sagen. Technologien an sich sind nicht gefährlich. Nur in den Händen von denen, die sie nutzen…“
„Das will ich wohl meinen! Und ich ergänze: auch in den Händen einiger, die sie verteilen wie Zuckerrationen an Kinder. – Was versteckt sich denn hinter den Dissonanzeffekten, von denen Sie sprachen?“
„Ooch das. In den ersten Tagen nach der Einführung des Impulsantriebs gab es bei den Alpharomeonen mehrere hundert Verkehrstote. In etwa 0,0021% der Population.“
„Ich möchte nicht sarkastisch wirken, aber für einen Genozid ist das immerhin schon ein Anfang, oder?“
„Wa–?! Da lachen ja die Suppenhühner in der Frühstückspille. Wie viele Verkehrstote hat‘s denn bitteschön gegeben, als anno 2343 die neue Weltraum-Verkehrsordnung eingeführt wurde? Allein schon bei den Asymmetriern. Von einen Tag auf den andern mußten die sich auf Geradeausverkehr umstellen. Und wer hat die Photophagen gefragt, wie sie‘s finden, daß Lichtgeschwindigkeit nur noch auf transgalaktischen Flügen erlaubt war? Und die Konfusion an den Dimensions-Kreuzungen erst…!“
„Ah, sehe ich da etwa Ihre Dissidentenseele wieder durchblicken? Nur weiter so, Herr ***. Ich gebe zu, es braucht so Einiges, um es sich mit mir zu verscherzen. Und Sie sind doch nicht scharf auf Erziehungsarrest in den Iridium-Minen von Phylaxas, oder? – Also: Wie haben Sie denn diese kleinen Komplikationen auf dem Mond behoben?“
Phfff… „So wie’s eben läuft. Fängt man einmal mit der Entwicklungsarbeit an, ist das, als würd man mit dem Finger in ein Nest voller Metasauger piksen. Wie soll ich das ausdrücken? …Eigentlich ist Entwicklungshilfe Hilfe, die sich entwickelt. Verstehen Sie? Man setzt ‘ne Art Kettenreaktion in Gang, weil jede Kulturtechnik, die man transferiert, Probleme mit sich bringt, die nur durch weitere, ergänzende Technologien gelöst werden können, die wiederum… – na Sie wissen schon. Ein bißchen, als würde man ‘n instabiles, heteromorphes Schwarzes Loch mit Materie füttern. Und letztendlich ist es auch schrottegal, mit welcher Technik, mit welcher Disziplin oder mit welchen institutionellen Neuerungen man anfängt. Das läuft im Prinzip bei allen Einsätzen so. Oder was glauben Sie, was bei der Klima-Umstellung auf Tristea los war? Magnetische Stürme, Korpuskularstrahlung, elektrische Eruptionen in der Ionosphäre… – Aber was erzähl ich Ihnen das? Seien wir mal ehrlich, ich hab jedenfalls noch nie erlebt, daß Entwicklungshilfe ohne die gängigen Ergänzungstechnologien ausgekommen ist. Plug-In-Konstante nennen wir das. . . Auf dem Mond mußten wir den Alpharomeonen zunächst mit Sicherheitsapparaturen, den holographischen Verkehrszeichen und dem Interface aushelfen. Teilweise ging’s dann in die Medizin. . .“
„Okay, okay.“ Hörte ich da Besänftigung? „Und was ist das für eine Geschichte mit diesen Betalunaren, den anderen?“
„Betajuliaden. Wir erfuhren durch einen Zufall von ihrer Existenz. Die Betajuliaden sind eine Art Schwestervolk der Alpharomeonen, aber charakterlich völlig anders zugeschnitten. Sie leben in ärmlichen Höhlen auf der erdzugewandten Seite des Mondes und sind sehr… ähem… feminin orientiert. Friedlich, den ganzen Tag mit der Kultivierung emotionaler Aufmerksamkeit und dem großen Einklang beschäftigt. Sie nähren sich an der taureinen Seele des Mondes, wie sie sich ausdrücken. In einigen Felshöhlen haben sie heilige Orte eingerichtet, wo sie irgendwelche altertümlichen Wappenfähnchen als Idol verehren: Hiten, Ranger 6, Luna 23 oder Apollo 17 nennen sie sie… Ist auch Schnuppe. Die Alpharomeonen machten jedoch Jagd auf sie und mißbrauchten sie als Arbeitssklaven. Als ich nachfragte, ließen sie kein gutes Chromosom an den Betajuliaden: Wer nach den Betajuliaden fragt, hieß es, der müsse auch nach der Souveränität der Alpharomeonen fragen. Die Betajuliaden seien ohne Ehre, ohne Ziel, ‘n Haufen fanatischer Fundamentalisten, schwächliches Blut undsoweiter. Seit Jahren verübe diese Bande von Terroristen feige Anschläge.“
„Ach!“
„Ja, tatsächlich kam es manchmal zu kleineren Bombenangriffen und Attentaten, freilich völlig wirkungslos. . .“
„Das sind ja barbarische Zustände. Und gleich auf dem Mond! – Aber das kommt im Universum immer wieder vor. . . Ich vermute, da Sie, Herr ***, diese Alphas zuvor so leichthin ausgerüstet hatten, konnten sie wenigstens selbst der Lage schnell Herr werden?“
Ich mußte plötzlich an meinen Studentenjob als Betreuer für einreisewillige Fremdspezies denken. Wie naiv und unbeschwert war doch diese Zeit gewesen. . . Hätte ich sie einfach verrecken lassen sollen? „Dreimal durchflogener Zodiakus, nein! Ich bestückte auch die Betajuliaden sofort mit dem Basispaket Kulturtechnik: Metabolik, Nanorobotik, Dimensionsoptik, Bioballistik… Ein Betajuliade sagte einmal: Früher spielten wir mit Sand, jetzt spielen wir mit Atomen.“
Aus der Finsternis brandete Entsetzen an, vom Lampenlicht multipliziert. „Wie?! Sie mißachteten auch noch die oberste Direktive der Galaktischen Union, die einseitige Neutralität? Sie haben sich tatsächlich in die internen Angelegenheiten der Mondpopulation eingemischt?!“
…Ob ich vielleicht doch noch träumte? Es fühlte sich so an, verdammt. Was steckte dahinter? „Also ich weiß nicht… Die Betajuliaden wurden doch unterdrückt. Da half ich eben und stellte ‘n Kräftegleichgewicht her. Ist doch alles optimal.“ Oder? „Ich mein, beide Ethnien schlossen einen Freundschaftsvertrag, wir absolvierten das Starterpacket, und fertig. Den Rest soll später sowieso ein Optimierungsteam übernehmen. Wir reisten ab, und das war’s eigentlich schon.“
Braches Schweigen kroch durch den Raum, blähte sich sekundenlang auf. Dann meldete sich wieder die Stimme: „Mir wird jetzt einiges klarer…“ Dünner als ehedem, schneidend. „Kommen Sie, ich werde Ihnen auf die Synapsen helfen…“
Das Licht erlosch, die Fußfesseln schnappten zurück. Behandschuhte Finger griffen aus der Dunkelheit meinen Arm – ein kalter Hauch von Sargasso-Seide, wie die Wäsche in den Vakuum-Schlafkabinen. Wir näherten uns dem roten Flackern am andern Ende des Raumes, das ich zu Anfang gesehen hatte, jeder Schritt wie tausend Nadelstiche in den Beinen… Am Ende wurde ich vor ein Fenster geführt und sah – - – !
Nichts. Nicht dort, wo der Mond seinen Platz am Firmament haben sollte. Nur ein müde nachglühender Trümmerhaufen in der Nacht. Und unten eine brennende Stadt im Meteoritenregen. . . So eine Schrottscheiße! Dafür wollten sie mir die Schuld anhängen.
Gleichmütig tönte die Stimme über meiner Schulter: „Sie werden wegen fahrlässigen Völkermords angeklagt, Herr ***. So sieht’s aus.“

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